Samstag, 12. April 2014

Das Keynesianische Endspiel: Wieviel Schulden Erträgt Ein Staat?

Nach der Lehre der reinen Vernunft ist es denkunmöglich, dass Staaten sich quasi unbegrenzt verschulden können. Nach der Lehre der Praxis ist das gar nicht ganz auszuschließen. Sicherlich nicht unbegrenzt, aber möglicherweise noch sehr, sehr lange. Alles hängt von der wahrgenommen Verschuldungskapazität eines Staates ab.

Jeder Kreditnehmer – sei es eine Privatperson, ein Unternehmen oder ein Staat – hat eine maximale Verschuldungskapazität. Das Problem ist nur, dass man diese maximale Verschuldungskapazität im Vornherein nicht kennt, sondern sie erst erfährt, wenn man sie überschreiten möchte. Bei Privatpersonen und Unternehmen ist dies einfacher, weil der Kreditnehmer in Gesprächen mit seiner Bank erfährt, wieweit die Bank bereit ist, ihn zu finanzieren. Anhand von Bilanzen, G+V Rechnungen und/oder Haushaltsbudgets kann die Bank kalkulieren, wie viele Schulden der Private oder das Unternehmen bedienen kann ohne pleitezugehen. Irgendwann kommt der Punkt, wo die Bank sagt „bis hier her und nicht weiter“ und der Kreditnehmer muss sich anpassen.

Anders ist es bei Staaten. Staaten sind souverän und können de jure nicht pleitegehen. Firmen und Private können Insolvenz anmelden; Staaten können das nicht (mögliche Ausnahme: ein Régimewechsel à la Zarenreich/Sowjetunion). Griechenland und griechische Steuerzahler wird es immer geben. Sollte sich der Rest der Welt weigern, den Griechen Schulden zu erlassen, dann bleiben diese Schulden auf ewig aufrecht. Sollte Griechenland sich weigern, diese Schulden zu bedienen, dann bleibt es auf ewig von der internationalen Finanzwelt ausgeschlossen. Nur ein einvernehmlicher Schuldenerlass kann dieses Problem lösen.

Im Gegensatz zu Privaten und Unternehmen gibt es bei Staaten keine empirische Grundlage, die maximale Verschuldungskapazität zu errechnen (weil ein Staat nicht pleitegehen kann). Die Frage bei Staatsschulden ist nicht, ob zukünftige Generationen damit belastet werden, sondern wie viele. Zukünftige Generationen wird es immer geben. Im Laufe der Zeit hat sich die Kennziffer „Staatsschulden als Prozent der Wirtschaftsleistung“ als Messlatte etabliert. Und hier liegt der Hase im Pfeffer: es gibt keine empirische Grundlage, auch nicht Rogoff & Reinhart, die diese Messlatte glaubhaft belegen könnte. Es gibt nur eine „vergemeinschaftete Erkenntnis der Märkte“, wie hoch diese Kennziffer werden kann, bevor es Probleme gibt.

Als Bruno Kreisky Bundeskanzler wurde, hatte meiner Erinnerung nach Österreich eine Staatsverschuldung im einstelligen Bereich (Prozent der Wirtschaftsleitung). Als sich Kreisky in Richtung 25% bewegte, warnten fiskalpolitische Experten vor einem Bankrott Österreichs. Maastricht erhöhte diese „vergemeinschaftete Erkenntnis“ auf 60%. Seit Griechenland liegt sie nunmehr bei 120%. Japan liegt irgendwo um die 200%.

Angenommen, eine Höhere Gewalt hätte Anfang der 1970er Jahre festgelegt, dass eine Staatsverschuldung unter Androhung von Besatzung dieser Höheren Gewalt 60% nicht überschreiten darf. Dann hätte Kreisky gewusst, wie hoch seine verbleibende Verschuldungskapazität ist (vom einstelligen Bereich auf 60%, plus Wirtschaftswachstum). Die Frage wäre lediglich gewesen, ob man diese Verschuldungskapazität innerhalb einer Generation aufbraucht oder sie auf mehrere verteilt. Nach Erreichen der Verschuldungskapazität wären zusätzlich Schulden mit dem Wirtschaftswachstum limitiert. Gut für die erste Generation; schlecht für die nächsten. Es gibt KEINERLEI Grundlage zu widerlegen, dass die „vergemeinschaftete Erkenntnis“ über die maximale Staatsverschuldung in Zukunft einmal als 500% (oder auch mehr) wahrgenommen werden könnte. Fiskalpolitiker werden argumentieren, dass der Zinsaufwand die Budgeteinnahmen ‚auffressen‘ würde. Macht nichts. Man nimmt einfach neue Schulden auf, weil man noch weit von den 500% (oder mehr) entfernt ist.

Keynes‘ Antwort darauf war – sinngemäß – „in the long run we are all dead“. Dieser “long run” kann sehr, sehr lange sein und deswegen erscheint es etwas vermessen, schon jetzt über ein keynesianisches Endgame zu sprechen. Außerdem verbleibt noch ein sehr wirksames Instrument (das wir derzeit nur seinenAnfängen kennenlernen), dem „long run“ entgegenzuwirken. Keynes nannte es die „euthanasia of the rentier“. Heute wird es „financial repression“ genannt. Auf gut Deutsch: eine negative Realverzinsung des Kapitals.

Die USA haben sich eines Großteils ihrer kriegsbedingten Staatsverschuldung nach dem 2. Weltkrieg nicht durch Wirtschaftswachstum, sondern durch „financial repression“ entledigt. Jahrelang wurde das Kapital negativ verzinst. Wir erleben heute die Wiederholung dieses Prozesses, wir können aber kaum etwas dagegen tun. Wir werden zwar nach wie vor auf lange Sicht alle tot sein, aber bis es soweit kommt, werden die Sparer um Einiges ärmer werden. 

Originalveröffentlichung hier

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